Bahnwärter Thiel – Inhaltsangabe – Gerhart Hauptmann

Kurze Inhaltsangabe zu Bahnwärter Thiel

Gerhart Hauptmanns 1887 entstandene Erzählung "Bahnwärter Thiel" handelt von eben diesem, der nach dem Tod seiner Frau Minna eine aus der Not geborene Ehe mit der Kuhmagd Lene eingeht. Diese bringt einen Sohn zur Welt und misshandelt Thiels Sohn Tobias aus erster Ehe sowohl physisch als auch psychisch. Thiel weiß der herrschsüchtigen Lene nichts entgegenzusetzen. Als sein Sohn Tobias von einem Zug erfasst wird und stirbt, während Lene auf ihn hätte aufpassen sollen, ermordet Thiel Lene und ihren gemeinsamen Sohn und wird daraufhin in eine Irrenanstalt eingewiesen.

Hauptmanns novellistische Studie zählt zu den bedeutendsten Werken des Naturalismus und behandelt in einer linear verlaufenden und in sich geschlossener Handlung die sozialen Probleme der Arbeiter zur Zeit der Industrialisierung und die Determiniertheit ihrer Lebensverhältnisse.

Zusammenfassung der einzelnen Kapitel von Bahnwärter Thiel

Kapitel 1

Der streng gläubige Bahnwärter Thiel heiratet ein Jahr nach dem Tod seiner geliebten Frau Minna aus der Not heraus die Kuhmagd Lene, um seinen Sohn Tobias aus der Ehe mit Minna während seiner Arbeitszeit versorgt zu wissen. Während seiner Arbeitszeit im Wärterhäuschen an den Bahngleisen gedenkt er ausgiebig seiner verstorbenen Frau Minna, die er von Herzen liebte und deren Verlust er nicht verschmerzen kann: "Eine verblichene Photographie der Verstorbenen vor sich auf dem Tisch, Gesangbuch und Bibel aufgeschlagen, las und sang er abwechselnd die lange Nacht hindurch […] und geriet hierbei in eine Ekstase, die sich zu Gesichten steigerte, in denen er die Tote leibhaftig vor sich sah."

Lene, die "eine harte, herrschsüchtige Gemütsart, Zanksucht und brutale Leidenschaftlichkeit" in ihrer Person vereint, unterdrückt den Bahnwärter Thiel, der sich nicht zu wehren weiß, und behandelt Thiels Sohn Tobias, einen schwachen und kränklich aussehenden Jungen, denkbar schlecht. Als Lene selbst einen Sohn zur Welt bringt, hat sie für Tobias nichts als Abneigung übrig und benutzt ihn als Helfer bei der Versorgung ihres eigenen Kindes. Gut gemeinte Mitteilungen besorgter Nachbarn, dass Lene Tobias körperlich misshandle, stoßen bei Thiel auf taube Ohren, obwohl er seinem Sohn große Zuneigung entgegenbringt, wie auch Tobias‘ Liebe gänzlich auf den Vater gerichtet ist.

Kapitel 2

Lene echauffiert sich darüber, noch keinen Ersatz für den "vor Wochen gekündigt[en]“ Kartoffelacker gefunden zu haben, der die Familie ernährt. Sie gibt Thiel für diesen Umstand die alleinige Schuld, obwohl die Pflege des Ackers bzw. die Suche nach einem neuen Acker in ihr Aufgabengebiet fällt. Thiel verbringt seine freie Zeit mit seinem Sohn Tobias, spielt mit ihm und anderen Kindern aus dem Dorf und hegt tief in sich den Wunsch, „aus Tobias [möge] mit Gottes Hilfe etwas Außergewöhnliches werden". Als er ihn weckt, entdeckt er auf Tobias‘ geschwollener Wange Fingerabdrücke, die von der Misshandlung durch Lene her rühren. Thiel schmerzt die Vorstellung, dass seinem Sohn Leid zugefügt wird, er stellt Lene, die mittlerweile einen neuen Acker in der Nähe von Thiels Bahnhäuschen ausgemacht hat, jedoch nicht zur Rede.

Auf dem Weg zu seinem Dienst bemerkt Thiel, dass er sein Butterbrot zuhause vergessen hat und kehrt um, um es zu holen. Schon aus der Ferne hört er seine Frau Lene mit seinem Sohn Tobias herumschreien. Als er sich weiter nähert, hört er deutlich, dass Lene Tobias nicht nur beschimpft, sondern auch schlägt: "Einige Augenblicke blieb es still; dann hörte man ein Geräusch, wie wenn Kleidungsstücke ausgeklopft würden; unmittelbar darauf entlud sich ein neuer Hagel von Schimpfworten […]. >>Halts Maul!<< schrie es, als ein leises Wimmern hörbar wurde [...]." Thiel betritt den Raum, woraufhin die ertappte Lene kurz die Fassung verliert, sich jedoch gleich wieder besinnt und Thiel vorwirft, er komme nur so früh heim, um sie zu kontrollieren. "Eine Kraft schien von dem Weibe auszugehen, unbezwingbar, unentrinnbar, der Thiel sich nicht gewachsen fühlte." Statt seinem Sohn zu helfen, der weinend auf dem Boden sitzt, nimmt Thiel sein Brot und geht ohne ein Wort hinaus.

Kapitel 3

Thiel verbringt eine unruhige Nacht in seinem Wärterhäuschen. Von Schuldgefühlen seinem Sohn gegenüber geplagt verrichtet er seine Arbeit nahezu mechanisch: "Die Leidensgeschichte seines Ältesten, welche die Eindrücke der letzten Stunden nur noch hatten besiegeln können, trat deutlich vor seine Seele. Mitleid und Reue ergriff ihn sowie auch eine tiefe Scham darüber, dass er diese ganze Zeit in schmachvoller Duldung hingelebt hatte, ohne sich des lieben, hilflosen Geschöpfes anzunehmen, ja auch ohne nur die Kraft zu finden, sich einzugestehen, wie sehr dieses litt." Im Schlaf träumt Thiel von seiner verstorbenen Frau Minna, wie sie etwas "in Tücher gewickeltes, etwas Schlaffes, Blutiges, Bleiches" an den Bahngleisen entlang mit sich trägt.

Wieder zuhause angekommen eröffnet ihm Lene, ihn am folgenden Tag mit den Kindern begleiten zu wollen, um den neuen Acker zu bestellen. Thiel, dessen Wärterhäuschen für ihn dem Gedenken seiner toten Minna gilt, ist wenig begeistert. Als er jedoch sieht, wie sehr sich der kleine Tobias auf den Ausflug freut, ändert sich seine Stimmung hin zum Positiven.

Am folgenden Tag bricht die Familie gemeinsam gen Thiels Wärterhäuschen auf. Thiel unternimmt gemeinsam mit Tobias einen Spaziergang entlang der Bahnschienen, während Lene den Acker umgräbt. Nach dem gemeinsamen Mittagessen im Wärterhäuschen muss Tobias bei Lene bleiben, um auf seinen kleinen Bruder aufzupassen, während Lene weiterhin auf dem Acker arbeitet. Thiel ruft ihr nach, sie solle achtgeben, dass Tobias den Gleisen fern bleibt. "Ein Achselzucken Lenens war die Antwort."

Als Thiel an seinem Posten steht, um einen Zug hindurch zu lassen, bremst dieser plötzlich. Thiel erkennt, dass "eine dunkle Masse […] unter den Zug geraten“ war. Seine schlimmste Befürchtung, es könne sich um Tobias handeln, wird bald darauf bestätigt. Wie von Sinnen klammert sich Thiel an seinen noch lebenden Sohn, bevor er ihn auf die Bahre legt, während Lene in einem fort wimmert und ihre Unschuld an dem Unglück beteuert. Tobias wird von Lene und einem Mann zur ärztlichen Versorgung gebracht und Thiel verrichtet zunächst weiter seinen Dienst, fällt jedoch bald in Gedanken an Tobias in Ohnmacht. Wieder erwacht fleht er seine tote Frau Minna an, ihm Tobias zurückzugeben und verspricht ihr, Lene anzutun, was diese Tobias angetan hat: „[…] und da will ich sie [Lene] auch schlagen – braun und blau – auch schlagen – und da will ich mit dem Beil – siehst du? – Küchenbeil – mit dem Küchenbeil will ich sie schlagen und da wird sie verrecken.“ Weil er es nicht ertragen kann, in Ungewissheit über das Leben seines Sohnes zu sein und sein gemeinsamer Sohn mit Lene, der er die Schuld an Tobias Unfall gibt, am Leben ist, beginnt er im Wahn, seinen kleinen Sohn im Kinderwagen zu würgen, kommt jedoch noch rechtzeitig zu sich und freut sich, dass der Kleine lebt: „Es [das Kind] lebt! Gott sei Dank, es lebt!“

Thiel erfährt, dass Tobias nicht überlebt hat, bricht zusammen und wird auf der Bahre, auf der zuvor die Leiche seines Sohnes lag, nach Hause getragen. Männer, die Thiel später die Leiche von Tobias bringen möchten, entdecken einige Stunden später sowohl die Leiche Lenes, die "das Gesicht unkenntlich, mit zerschlagener Hirnschale" in ihrem eigenen Blut liegt als auch die Leiche des gemeinsamen Sohnes von Thiel und Lene "mit durchschnittenem Halse." Thiel wird am Morgen auf den Bahngleisen sitzend und wahnsinnig geworden genau dort vorgefunden, wo Tobias am Vortag vom Zug erfasst worden ist. Vergeblich versuchen mehrere Männer, Thiel dazu zu bewegen, von den Gleisen herunterzukommen, müssen ihn jedoch letztendlich mit Gewalt von den Schienen herunterholen. Noch bei seiner Einweisung in die "Irrenabteilung der Charité" hält er Tobias "braune[s] Mützchen in [den] Händen und bewacht […] es mit eifersüchtiger Sorgfalt und Zärtlichkeit."

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